Kulturelle Vielfalt am Küchentisch – von Juri Lietz – WZ 03.02.2022

Talk-Runde in der Bandfabrik

„Es ist ein Experiment: Die Verbindung von theoretischer Diskussion und von Engagement mit Essen und Musik“, kündigt Erhard Ufermann, Gründer der Bandfabrik in Langerfeld, die zweite Ausgabe der Talk-Runde „Am Küchentisch“ an. Was aber an experimentellen Inhalten vermutet wurde, entpuppte sich beim Gesprächsabend in der Kultur-Institution im Gegenteil schnell als heimelig-gesellige Runde, die sich in der Familiarität zwischen Gästen und Publikum auszeichnete.
Vielleicht entstand die Interaktion zwischen den Interessierten, die die Bandfabrik ausgebucht hatten, und den Gästen am Küchentisch auch aus dem Thema des Abends heraus. Oft verhandelt und womöglich gerade dadurch so menschlich wie kaum ein anderes politisches Feld, stellte sich die Frage: „Integration oder kulturelle Vielfalt?“ Ufermann gibt eine klare Richtlinie vor: „Das ist weniger eine Frage an zugewanderte Menschen als an das Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft.“ Deutschland habe lange darauf bestanden, kein Einwanderungsland zu sein, bis diese Erkenntnis auch wirtschaftlich, im Sinne des Gewinns von Fachkräften, nicht mehr zu umgehen gewesen sei. Dieses Dogma kritisiert der Initiator scharf: „Zuwanderung wird gegen alle Erfahrungen aus den 60er-Jahren gestaltet, nach dem Motto: ‚Wir rufen Arbeitskräfte – und verdammt, es kommen Menschen‘“, so Ufermann. Um das Kennenlernen zu fördern, wird am Küchentisch gemeinsam gegessen. Sowohl im Publikum als auch auf der Bühne wurde sich also an hausgemachtem Injera (Fladenbrot) und den Klängen der Musik von Papa Julius Nartey und Ervas Honore erfreut, sowie schon in die Diskussion vertieft. Die begann dann persönlich und klar zugleich: Hayat Chaoui, Leiterin des internationalen Frauenchores Women of Wuppertal, sagt über ihre einst als Gastarbeiter gekommenen Eltern heute: „Sie sind immer noch zu Gast.“ Eine Kerbe, in die auch Biniam Gebremedhin schlägt, der das Welt-Café in der Citykirche leitet. Er flüchtete als Jugendlicher vor dem Krieg in Äthiopien und stellt seitdem fest: „Integration hat in meinen Augen noch nie funktioniert.“ Nach 18 Jahren in Deutschland ist er noch immer nicht eingebürgert worden.Der SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh zeigte sich in dieser Hinsicht selbstkritisch: „Es ist in den letzten Jahren ein Defizit der Politik gewesen, sich mit Migration und Vielfalt nicht genug auseinanderzusetzen.“ Er wünscht sich, um den Diskurs weniger problematisch zu gestalten, eine „Verlangweilung“ von Integration. „Das ist heute immer so weihevoll und paternalistisch“, kritisiert er. Die Betroffenen in den Mittelpunkt rücken möchte auch Christiane Bainski. Die Bildungsexpertin und ehemalige Landtagsabgeordnete sagt: „Wir tun immer so als wäre es eine Randgruppe, dabei bildet sich in NRW die Welt ab. Wir müssen uns in Fragen der Partizipation weiterentwickeln. “Wo also liegen Lösungsansätze? Chaoui findet, der Fokus auf Sprachkurse müsse trotz seiner Relevanz abgeschwächt werden. „Lieber sollte man zugewanderten Menschen die Mitgliedschaft in einem Verein auferlegen“, so die Musikerin. Lindh stimmt in Teilen zu („bei jedem Verein kann ich’s nicht empfehlen“) und sucht die Verantwortung in der Politik: „Wir neigen dazu, Bevormundung zu produzieren.“ Auf bürokratischer Ebene sucht Gebremedhin; er berichtet: „In den Behörden fühlen wir uns schikaniert.“ Und Bainski trifft den Nerv des Abends, wenn sie appelliert: „Wir sollten es möglich machen, sich über Grenzen hinwegzusetzen.“

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